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Beratung - Sommerhitze: lahme Tiere
TORO Beratungsartikel|07.07.2025

Beratung - Sommerhitze: lahme Tiere

Wärme, Nässe und Mikroverletzungen führen zur Entzündung des Zwischenklauenspalts.

Jutta Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin

«Jeden Sommer derselbe Seich», fluchen viele Betriebsleiter und Älpler. Schlagartig ist es wieder da: das Panaritium. Viele landläufige Bezeichnungen existieren für diese Erkrankung – Grippeli, Schlegelfäule, Igel, Palusa, der Wilde. Medizinisch korrekt heisst sie Zwischenklauenphlegmone (Phlegmona interdigitalis), benannt nach der Stelle, an der sie beginnt: dem Spalt zwischen den Klauen. Von dort breitet sich die starke, diffuse Schwellung schnell über Ballen, Kronrand und tiefere Strukturen bis zum Fesselgelenk aus.

Ein typisches Grippeli: Eine Verletzung zwischen den Klauen führt zu einer schmerzhaften Schwellung des gesamten Bereichs.

Schlagartig stocklahm

Die erkrankten Tiere treten an einem Bein plötzlich kaum mehr auf, liegen auffällig viel und fressen nicht. Ihre Milchleistung sinkt, teils haben sie Fieber. Die Haut zwischen den Klauen ist gerötet und spannt. Sie drückt die Klauen auseinander. Der Kron­saum ist heiss und verdickt. Er verfärbt sich bläulich-rot. Die Haare stehen ab. Unbehandelt wird die Haut rau und schwitzt einen schmutzig-gelben Belag aus. Sie kann beginnen zu eitern oder eine faulig-stinkende Flüssigkeit abzusondern.

Feucht und schmutzig

Um die Erkrankung genau zu sehen, muss die Klaue in der Regel zuerst gewaschen werden. Denn Schmutz, Kot und Morast, die an den Füssen kleben bleiben und die Haut aufweichen, sind Teil des Übels. Diese wird anfällig für Infektionen. Tiere, die bereits Klauenfäule oder Mortellaro haben, tragen die passenden Keime bereits massenhaft mit sich. Diese Erreger finden bei sommerlicher Wärme und hoher Luftfeuchtigkeit ein optimales Klima und vermehren sich unter der Dreckkruste explosionsartig. Dann durchbrechen sie den angeknacksten Hautschutz und bereiten wiederum den Weg für weitere Umweltkeime, Darmbakterien oder Eiter­erreger.

Im Stall muss der Boden sauber sein, damit die Haut um die Klauen trocken und gesund bleibt.

Viele zur gleichen Zeit

Weil die gesamte Herde denselben Bedingungen in der Haltung, der Fütterung und beim Keimdruck ausgesetzt ist, sind oft mehrere Tiere gleichzeitig betroffen. Schlechte Stallhygiene und rutschige Böden fördern die Verbreitung und Vermehrung der Erreger. Mehrfache tägliche Reinigung der Laufgänge mit Mistschieber oder Spaltenroboter helfen vorzubeugen. Problem­be­trie­ben wird die regelmässige Desinfektion ihrer gesamten Laufflächen angeraten. Frisch melkende Kühe mit negativer Energiebilanz stecken sich besonders häufig mit Panaritiumkeimen an, da sie ein geschwächtes Immunsystem haben. Gefährdet sind auch Kühe mit Durchfall, die massenhaft Darmkeime ausscheiden und ebenfalls eingeschränkte Abwehrkräfte haben. Im Sommer haben Kühe oft solche Verdauungsstörungen, da sie bei Hitze weniger Rohfaser fressen.

Trocken an warmen Tagen

Ausserdem liegen Tiere im Hitzestress weniger. Doch nur im Liegen trocknen ihre Klauen gut ab. Dies ist ein wichtiger Faktor für eine gesunde Haut im Zwischenklauenbereich. Jede Massnahme gegen Hitzestress hilft also auch, Panaritien zu verhindern. Auch die fachgerechte Klauenpflege spielt eine Rolle: Werden die Zehenspitzen gekürzt, hebt sich der hintere Teil der Klaue vom Boden und aus dem Dreck. So bleiben Ballen und Zwischenklauenspalt trockener. Klauenpflege von klein auf wirkt sich daher bereits bei Rindern positiv aus.

Risiken beim Weidegang

Kleinste Verletzungen im Zwischenklauenbereich ermöglichen Keimen das Eindringen in tieferes Gewebe. Unwegsame Wiesen sind daher riskant. Verletzungspotenzial bergen besonders: Weiden mit morastigen Bereichen oder einem hohen Anteil an Hartgräsern, steinige Triebwege, Stellen mit offenem Wurzelwerk oder ausgetrocknete Tritt- bzw. Fahrspuren. Es hilft nur, solche Gefahrenquellen wortwörtlich zu «entschärfen», Sumpfstellen trockenzulegen oder zu umzäunen, Tränken zu optimieren und Kanten oder unwegsamen Untergrund im gesamten Tierhaltungsbereich zu vermeiden. Kühe sollten sich nur dort bewegen müssen, wo auch ein Mensch problemlos barfuss gehen kann.

Triebwege ohne grobe Steine schonen die Klauengesundheit.

Fehldiagnosen vermeiden

Was tun im akuten Krankheitsfall? Tierärzte weisen darauf hin, dass eine Schwellung im Klauenbereich oft vorschnell mit «halt äs Grippeli» beurteilt und behandelt werde. Ein Panaritium sei zwar häufig, aber gleichzeitig auch die häufigste Fehldiagnose bei Lahmheiten. Deshalb sind die wichtigsten Massnahmen: Das lahmende Tier in den Klauenstand nehmen, den erkrankten Fuss mit Wasser und Bürste reinigen und dann genau untersuchen. Andere schwerwiegende Ursachen für hochschmerzhafte Schwellungen in diesem Bereich können sein:

  • durchgebrochene Klauengeschwüre
  • eine hochgradig eitrig-hohle Wand
  • Gelenks- oder Sehnenscheidenentzündung
  • starke Klauenfäule
  • und auch bei Blauzungenkrankheit (BTV3) sind behandlungsresistente Fälle von «Elefantenfüssen» bekannt.

Daher ist eine gründliche tierärztliche Diagnose wichtig!

Sprühen und spritzen

Liegt tatsächlich ein Panaritium vor, trägt man abgestorbenes Gewebe vorsichtig ab und führt wenn nötig eine Klauenpflege (auch an den übrigen Klauen) durch. Anschliessend wird die erkrankte Stelle lokal mit Salbe oder Spray desinfiziert. Streng nach Behandlungsanweisung des Tierarztes oder der Tierärztin werden in der Regel ein passendes Antibiotikum gegen die eingedrungenen Keime und ein entzündungshemmendes Schmerzmittel gespritzt. Dann ist das Tier schneller schmerzfrei und beginnt zeitnah wieder zu fressen.

Verband – ja oder nein?

Ob man ein Panaritium verbinden sollte oder nicht, hängt von der Gesamtsituation ab. Für einen (gutsitzenden) Verband spricht der bessere Schutz der Haut und vor allem die Verhinderung der Keimverbreitung innerhalb der Herde. Wird die erkrankte Kuh in einer Krankenbox (nicht in den Abkalbebereich!) mit trockenem Boden separiert, kann die Stelle auch offenbleiben. Ein schlechter, rutschender Klauenverband birgt immer das Risiko, dass er durch Abschnüren und ständiges Reiben die Entzündung verschlimmert.

Schlimmeres vermeiden

Ohne rechtzeitige tierärztliche Behandlung kann die Entzündung auch auf tiefere Strukturen übergreifen – etwa auf das Klauengelenk, die Beugesehne oder deren Sehnenscheiden. Die Erreger neigen ausserdem dazu, sich über das Blut im gesamten Körper auszubreiten. Häufig setzen sie sich dann an den Herzklappen, in der Lunge oder der Leber fest und bilden dort nicht-therapierbare Abszesse. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden. Deshalb: Panaritien früh erkennen, korrekt diagnostizieren und entschlossen behandeln!

Klauengesundheit auf der Alp

Die Bedingungen auf vielen Alpen fördern nach wie vor seuchenartige Ausbrüche von Grippeli: Lange Fussmärsche über steinige Triebwege und Unruhe in der Herde zu Saisonbeginn sowie unwegsames Gelände kombiniert mit Feuchtstellen, wo sich die Erreger besonders wohlfühlen. Das führt vielerorts schnell zu einem hohen Medikamentenverbrauch, explodierenden Behandlungskosten und ausuferndem Betreuungsaufwand. Unschöne Bilder hochgradig lahmer Tiere belasten das Personal genauso wie Alpbesucher. Rinderalpen sind wegen der höheren Bewegungsaktivität ihrer erstsömmerigen, nicht-tragenden Tiere besonders betroffen. Ein gemeinsames Projekt der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern und dem Bundesamt für Landwirtschaft untersuchte in den Sommern 2020–22, wie sich die Klauengesundheit hinsichtlich der Grippeli-Problematik verbessern liesse.

 

Die abgeleiteten Empfehlungen aus den Ergebnissen des Projekts «Tiergesundheit auf grossen Rinderalpen» sind:

  • die Entschärfung der Risikostellen
  • das Absammeln von Totholz und groben Steinen – das ständige dezentrale Verteilen von Salzstellen
  • die Bodenbefestigung um Tränkestellen
  • eine separate Krankenweide, um Ansteckungen zu vermeiden
  • unterschiedliche Herden für nicht-besamte und tragende Rinder
  • demzufolge eine stärkere Parzellierung der Weideflächen
  • Bevorzugte Beweidung besonders unwegsamer oder steiniger Alpwiesen mit Fleischrassen, die eine dickere Haut am Übergang zu den Klauen haben als «zartere» Milchrassen.
  • Ausreichende Versorgung mit Spurenelementen zum Hautschutz (z.B. Curatop-Boli®)

Fels auf Alpweiden kann zu kleinen und grossen Verletzungen an den Klauen führen.
E: aus Fotowettbewerb dfk 2015