Beratung - Sommerhitze: lahme Tiere
Wärme, Nässe und Mikroverletzungen führen zur Entzündung des Zwischenklauenspalts.
Jutta Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin
«Jeden Sommer derselbe Seich», fluchen viele Betriebsleiter und Älpler. Schlagartig ist es wieder da: das Panaritium. Viele landläufige Bezeichnungen existieren für diese Erkrankung – Grippeli, Schlegelfäule, Igel, Palusa, der Wilde. Medizinisch korrekt heisst sie Zwischenklauenphlegmone (Phlegmona interdigitalis), benannt nach der Stelle, an der sie beginnt: dem Spalt zwischen den Klauen. Von dort breitet sich die starke, diffuse Schwellung schnell über Ballen, Kronrand und tiefere Strukturen bis zum Fesselgelenk aus.
Schlagartig stocklahm
Die erkrankten Tiere treten an einem Bein plötzlich kaum mehr auf, liegen auffällig viel und fressen nicht. Ihre Milchleistung sinkt, teils haben sie Fieber. Die Haut zwischen den Klauen ist gerötet und spannt. Sie drückt die Klauen auseinander. Der Kronsaum ist heiss und verdickt. Er verfärbt sich bläulich-rot. Die Haare stehen ab. Unbehandelt wird die Haut rau und schwitzt einen schmutzig-gelben Belag aus. Sie kann beginnen zu eitern oder eine faulig-stinkende Flüssigkeit abzusondern.
Feucht und schmutzig
Um die Erkrankung genau zu sehen, muss die Klaue in der Regel zuerst gewaschen werden. Denn Schmutz, Kot und Morast, die an den Füssen kleben bleiben und die Haut aufweichen, sind Teil des Übels. Diese wird anfällig für Infektionen. Tiere, die bereits Klauenfäule oder Mortellaro haben, tragen die passenden Keime bereits massenhaft mit sich. Diese Erreger finden bei sommerlicher Wärme und hoher Luftfeuchtigkeit ein optimales Klima und vermehren sich unter der Dreckkruste explosionsartig. Dann durchbrechen sie den angeknacksten Hautschutz und bereiten wiederum den Weg für weitere Umweltkeime, Darmbakterien oder Eitererreger.
Viele zur gleichen Zeit
Weil die gesamte Herde denselben Bedingungen in der Haltung, der Fütterung und beim Keimdruck ausgesetzt ist, sind oft mehrere Tiere gleichzeitig betroffen. Schlechte Stallhygiene und rutschige Böden fördern die Verbreitung und Vermehrung der Erreger. Mehrfache tägliche Reinigung der Laufgänge mit Mistschieber oder Spaltenroboter helfen vorzubeugen. Problembetrieben wird die regelmässige Desinfektion ihrer gesamten Laufflächen angeraten. Frisch melkende Kühe mit negativer Energiebilanz stecken sich besonders häufig mit Panaritiumkeimen an, da sie ein geschwächtes Immunsystem haben. Gefährdet sind auch Kühe mit Durchfall, die massenhaft Darmkeime ausscheiden und ebenfalls eingeschränkte Abwehrkräfte haben. Im Sommer haben Kühe oft solche Verdauungsstörungen, da sie bei Hitze weniger Rohfaser fressen.
Trocken an warmen Tagen
Ausserdem liegen Tiere im Hitzestress weniger. Doch nur im Liegen trocknen ihre Klauen gut ab. Dies ist ein wichtiger Faktor für eine gesunde Haut im Zwischenklauenbereich. Jede Massnahme gegen Hitzestress hilft also auch, Panaritien zu verhindern. Auch die fachgerechte Klauenpflege spielt eine Rolle: Werden die Zehenspitzen gekürzt, hebt sich der hintere Teil der Klaue vom Boden und aus dem Dreck. So bleiben Ballen und Zwischenklauenspalt trockener. Klauenpflege von klein auf wirkt sich daher bereits bei Rindern positiv aus.
Risiken beim Weidegang
Kleinste Verletzungen im Zwischenklauenbereich ermöglichen Keimen das Eindringen in tieferes Gewebe. Unwegsame Wiesen sind daher riskant. Verletzungspotenzial bergen besonders: Weiden mit morastigen Bereichen oder einem hohen Anteil an Hartgräsern, steinige Triebwege, Stellen mit offenem Wurzelwerk oder ausgetrocknete Tritt- bzw. Fahrspuren. Es hilft nur, solche Gefahrenquellen wortwörtlich zu «entschärfen», Sumpfstellen trockenzulegen oder zu umzäunen, Tränken zu optimieren und Kanten oder unwegsamen Untergrund im gesamten Tierhaltungsbereich zu vermeiden. Kühe sollten sich nur dort bewegen müssen, wo auch ein Mensch problemlos barfuss gehen kann.
Fehldiagnosen vermeiden
Was tun im akuten Krankheitsfall? Tierärzte weisen darauf hin, dass eine Schwellung im Klauenbereich oft vorschnell mit «halt äs Grippeli» beurteilt und behandelt werde. Ein Panaritium sei zwar häufig, aber gleichzeitig auch die häufigste Fehldiagnose bei Lahmheiten. Deshalb sind die wichtigsten Massnahmen: Das lahmende Tier in den Klauenstand nehmen, den erkrankten Fuss mit Wasser und Bürste reinigen und dann genau untersuchen. Andere schwerwiegende Ursachen für hochschmerzhafte Schwellungen in diesem Bereich können sein:
- durchgebrochene Klauengeschwüre
- eine hochgradig eitrig-hohle Wand
- Gelenks- oder Sehnenscheidenentzündung
- starke Klauenfäule
- und auch bei Blauzungenkrankheit (BTV3) sind behandlungsresistente Fälle von «Elefantenfüssen» bekannt.
Daher ist eine gründliche tierärztliche Diagnose wichtig!
Sprühen und spritzen
Liegt tatsächlich ein Panaritium vor, trägt man abgestorbenes Gewebe vorsichtig ab und führt wenn nötig eine Klauenpflege (auch an den übrigen Klauen) durch. Anschliessend wird die erkrankte Stelle lokal mit Salbe oder Spray desinfiziert. Streng nach Behandlungsanweisung des Tierarztes oder der Tierärztin werden in der Regel ein passendes Antibiotikum gegen die eingedrungenen Keime und ein entzündungshemmendes Schmerzmittel gespritzt. Dann ist das Tier schneller schmerzfrei und beginnt zeitnah wieder zu fressen.
Verband – ja oder nein?
Ob man ein Panaritium verbinden sollte oder nicht, hängt von der Gesamtsituation ab. Für einen (gutsitzenden) Verband spricht der bessere Schutz der Haut und vor allem die Verhinderung der Keimverbreitung innerhalb der Herde. Wird die erkrankte Kuh in einer Krankenbox (nicht in den Abkalbebereich!) mit trockenem Boden separiert, kann die Stelle auch offenbleiben. Ein schlechter, rutschender Klauenverband birgt immer das Risiko, dass er durch Abschnüren und ständiges Reiben die Entzündung verschlimmert.
Schlimmeres vermeiden
Ohne rechtzeitige tierärztliche Behandlung kann die Entzündung auch auf tiefere Strukturen übergreifen – etwa auf das Klauengelenk, die Beugesehne oder deren Sehnenscheiden. Die Erreger neigen ausserdem dazu, sich über das Blut im gesamten Körper auszubreiten. Häufig setzen sie sich dann an den Herzklappen, in der Lunge oder der Leber fest und bilden dort nicht-therapierbare Abszesse. Dies gilt es unbedingt zu vermeiden. Deshalb: Panaritien früh erkennen, korrekt diagnostizieren und entschlossen behandeln!