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Beratung - Virenschutz beginnt im Miststock
TORO Beratungsartikel|07.07.2025

Beratung - Virenschutz beginnt im Miststock

Massnahmen in der Swissgenetics-Tierhaltung senken das Risiko durch Gnitzen.

Jutta Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Ein Seuchenfall wäre für jede Besamungsstation ein Desaster. Vor allem Virusinfektionen, die von winzigen, blutsaugenden Mücken, den Gnitzen, übertragen werden, bereiten dem Team Tierhaltung bei Swissgenetics Sorgen: die Blauzungenkrankheit, Epizootische Hämorrhagie oder das Schmallenberg-Virus. Je nach Erreger drohen unterschiedliche veterinärrechtliche Restriktionen – vom Produktionsstopp einzelner Stiere über Exporteinschränkungen bis hin zur Sperrung der gesamten Station.

Gnitzen sind winzige Stechmücken. Hier sind sie unter dem Mikroskop auf Karopapier vergrössert.

Viruserkrankungen, die von Gnitzen auf Rinder übertragen werden können, sind auf Besamungsstationen gefürchtet – sie ziehen seuchenprophylaktische Restriktionen nach sich. Jeder Stier in Mülligen wird alle 28 Tage und beim Austritt aus der Station per Blutprobe auf Virusfreiheit getestet.

 

Blauzungenkrankheit (BTV)

60 Tage nach einer Virus-positiven Blutprobe eines Stiers darf kein Samen von ihm verkauft werden. Für den Samenexport muss zusätzlich die Virusfreiheit der gesamten Station nachgewiesen sein. Das Virus bleibt nach einer Infektion oft sehr lange im Blut zirkulierend.

Alle Stiere bei Swissgenetics sind deshalb mittlerweile gegen die Serotypen (BTV 3,4,8) geimpft, für die derzeit in der Schweiz ein Impfstoff vorhanden ist. Das soll Viren im Blut der Stiere und nachfolgend im Samen verhindern. Ausser Schwellungen an der Einstichstelle sind bislang keine Impfnebenwirkungen aufgetreten – auch nicht bezüglich des Sprungverhaltens oder der Samenqualität.

 

Epizootische Hämorrhagie (EHD)

Die positive Blutprobe eines Stiers würde eine Betriebssperre und einen Stopp der Samenproduktion nach sich ziehen. Alle Stiere bei Swissgenetics werden daher aktuell gegen EHD geimpft, wie es die Impfempfehlung des BLV vorsieht.

 

Schmallenberg-Virus (SBV)

Für Exporte nach Kanada oder in die USA darf ein Stier keine Schmallenberg-Antikörper tragen. Weil sie sehr lange nachweisbar bleiben, ist ein Antikörper-positiver Stier für diese Märkte praktisch ausgeschlossen. Da aktuell kein Impfstoff existiert, werden die Stiere durch andere Massnahmen bestmöglich geschützt.

Impfungen und mehr

Um die Risiken zu minimieren, betreibt Swissgenetics eine intensive Vorsorge: Alle Stiere werden von klein auf gegen diese Viren geimpft, sofern ein Impfstoff zur Verfügung steht. Zusätzlich wird jeder Stier auf der Station Mülligen engmaschig beprobt. Wichtig ist ausserdem die Bekämpfung der Krankheitsüberträger. Nach dem Motto «Kenne deinen Feind» beschäftigt sich das Stationsteam deshalb seit einiger Zeit intensiv mit den Gnitzen, einer speziellen Stechmückenart.

Mückenwissen

«Das grosse Glück ist, dass am Institut für Parasitologie der Uni Zürich echte Gnitzenexperten arbeiten, mit denen wir in engem Kontakt stehen und von denen wir bereits viel lernen konnten», erzählt Stationstierärztin Mirjam Jansen. So weiss das Team nun, dass es zwar viele unterschiedliche Arten von Gnitzen gebe, aber nur wenige tatsächlich Viren übertragen. «Auch bei den Gnitzen saugen nur die Weibchen Blut. Sie stechen hauptsächlich an den Beinen und am Unterbauch der Rinder», sagt Mirjam, «man findet sie vor allem in der Nähe von Stallungen. Sie meiden geschlossene Räume und können selbst nur schlecht fliegen, weshalb sie Nebel oder Wind sowie kaltes und regnerisches Wetter nicht gerne mögen. Eine Stunde vor und eine Stunde nach Sonnenuntergang zeigen Gnitzen an bedeckten, windstillen und trockenen Tagen die höchste Aktivität». Die Blauzungenwelle im letzten Sommer zeigte, dass der Wind diese Mücken oft über weite Strecken verbreitet.

Erfinderische Weibchen

Für eine Blutmahlzeit würden die Gnitzen erfinderisch und fänden die kleinste Lücke in einem Insektengitter, erzählt Mirjam weiter. Um dem Luftstrom eines Deckenventilators zu entgehen, krabbelten sie dem Boden entlang zu ihren Opfern. Alle drei bis fünf Tage bräuchte ein Weibchen vor der Eiablage Blut, zwei bis dreimal am selben Abend. Wenn sie ein infiziertes Tier stechen, können die Gnitzen Viren aufnehmen, die sich dann in der Speicheldrüse oder den Augen vermehren. In der Folge verlieren infizierte Gnitzen ihre Lichtorientierung. Besonders an warmen Tagen verläuft die Virusvermehrung rasch. Bei Temperaturen unter 10 °C kommt sie zum Stillstand, doch die Mücke bleibt infektiös. Eine infizierte Gnitze ist für den Rest ihres Lebens eine potenzielle Überträgerin.

Matschige Brutplätze

«Im Gegensatz zu unseren anderen Stechmücken legen die Gnitzen ihre Eier in feuchtwarmem, substratreichem Untergrund ab», fährt Mirjam fort, «Sie brauchen Sickersaft im Fahrsilo, frischen oder kompostierten Mist, einen Schwimmdeckel im Güllesilo oder andere matschige Stellen hinter dem Mistschieber oder unter der Tränke. Anders als die Larven und Puppen unserer üblichen Stechmücken können ihre nicht schwimmen. Gnitzen suchen deshalb keine stehenden Gewässer, sondern bevorzugen ruhige Orte, wo es schön schlammig und gruusig ist». An ihren bevorzugten Plätzen bilden die Gnitzen riesige Schwärme und entwickeln sich je nach Temperatur innerhalb von 10 bis 20 Tagen vom Ei bis zur adulten Mücke. Den Winter überleben sie im Larvenstadium zum Beispiel im Miststock.

Der Miststock hinter dem neuen Stierenstall in Mülligen (Stall 4) erwies sich als optimale Brutstätte für Gnitzen. Seit Frühjahr 2024 wird er deshalb konsequent alle zwei Wochen abgeführt.

Paradiese zerstören

Der Schutz vor Virusinfektionen beginnt also genau an solchen morastigen Orten. «Bei einem Rundgang auf der Station in Mülligen identifizierten die Experten der Uni Zürich im letzten Jahr unsere Gnitzenparadiese. Solche hat jeder landwirtschaftliche Betrieb», erzählt die Stationstierärztin, «seither versuchen wir diese Brutplätze konsequent zu zerstören: Kein humusreiches Substrat bleibt länger als 14 Tage liegen. Futterreste und Festmist werden jetzt regelmässig abgeführt. Zwei Mal pro Woche werden die Schwemmdeckel in der Gülle aufgerührt. Alle Ausläufe der Stiere wurden weitgehend trockengelegt».

Extrastall für Exportstiere

Die grossen, modernen und luftigen Ställe in Mülligen 100% gnitzensicher zu machen sei allerdings unmöglich, sagt sie. Das Tierwohl der Stiere hat eine höhere Priorität als der Insektenschutz. Nur die Stiere mit Potenzial für den
Samenexport nach Übersee werden in einem Stall (Stall 1) mit besonderer Mückenabwehr untergebracht. Da man gegen das Schmallenberg-Virus nicht impfen kann, versucht man so die strengen Auflagen mancher importierender Länder einzuhalten. Dieser Stall hat besonders engmaschige Mückennetze (2 x 2 mm) vor den Fenstern, die zusätzlich mit Permethrin eingesprüht werden. An der Türe befindet sich ausserdem eine Luftschleuse, die ähnlich wie im Eingang eines Kaufhauses einen starken Luftstrahl schräg nach aussen bläst.

Wärme gleich Gnitzen

Insektenfallen mit UV-Licht, die über die Station in Mülligen verteilt sind (s. Bild), überwachen die Gnitzendichte, zeigen ihre bevorzugten Plätze und kontrollieren die Wirkung der Bekämpfungsmassnahmen. «Leider eignen sich diese Fallen nicht zum Abtöten der virustragenden Mücken, denn diese sehen das UV-Licht durch die Infektion in ihren Augen nicht mehr und gehen dort nicht hinein», sagt Mirjam Jansen. Die wöchentliche Auswertung der Fang­ergeb­nisse zeigt, wie die Gnitzenanzahl die Aussentemperatur abbildet: Wenn die Temperaturen im Frühjahr steigen, explodiert die Zahl der gefangenen Mücken trotz aller getroffenen Massnahmen. Sobald der Gnitzendruck zunimmt, werden die Stiere mit Insektenschutz behandelt.

Die Standorte der Gnitzenfallen auf der Station in Mülligen. Am Miststock (Stall 4 hinten) werden nach wie vor am meisten Mücken gefangen.
Die gefangenen Gnitzen werden wöchentlich ausgezählt. Seit die Hygienemassnahmen zu ihrer Bekämpfung im April 2024 begannen, nahm ihre Anzahl trotz Beginn der Mückensaison ab.

Hygiene senkt den Druck

Die Auszählung der Mückenfallen zeigt, dass die Hygienemassnahmen gegen die Gnitzenbrut den Insektendruck auf den Swissgenetics-Stationen senken. Insbesondere das regelmässige Entfernen von Futterresten und Festmist hilft. Die Experten aus Zürich rühmen das Ergebnis, da sie viel mehr Gnitzen erwarten würden: Über die gesamte Mückensaison müssten es eigentlich um zwei Drittel mehr sein. Davon angespornt wird das Team Tierhaltung die gezielte Bekämpfung und das Monitoring konsequent fortsetzen.