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Beratung - Schmerz zu lindern, lohnt sich
TORO Beratungsartikel|04.07.2024

Beratung - Schmerz zu lindern, lohnt sich

Auch Kühe spüren, wenn etwas wehtut. Dann sind Hinsehen und (Be)handeln gefragt.

Jutta Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Würden Kälber und Kühe bei Schmerzen laut brüllen, jämmerlich winseln oder jaulen, wären entsprechende Medikamente vermutlich schnell bei der Hand. Da Rinder allerdings potenzielle Beutetiere sind, zeigen sie Schwächen möglichst unauffällig und leiden leise. Daher gelten sie landläufig als «schmerzresistent» und von Schmerzmitteln wird häufig abgesehen. Rein von ihren körperlichen Voraussetzungen her verfügen Kühe und Kälber jedoch über dieselben Sensoren und Nervenbahnen wie Menschen. Deshalb muss man davon ausgehen, dass sie Schmerzen genauso empfinden wie wir – und vermutlich fühlen sie häufiger und grössere Schmerzen, als wir ahnen.

(Be)handeln rechnet sich

Schmerzmittel bei Rindern waren in der Vergangenheit nie ein grosses Thema. Doch verschiedene Studien zeigen, dass ihre Anwendung nicht nur aus ethischen und tierschutzrechtlichen Gründen wichtig ist. Sie bringt auch wirtschaftliche Vorteile. Denn durch das verbesserte Allgemeinbefinden fressen die Tiere wieder sehr viel schneller und sehr viel besser – dadurch erreichen sie ihre normale Leistung nach einer Erkrankung, einer Verletzung oder einem schmerzhaften Eingriff wieder früher. Doch Achtung: Nur Schmerzmittel zu geben, ohne der Ursache für diese auf den Grund zu gehen, kann auch gewaltig schief-gehen. So gehören zum Beispiel fieberhafte Erkrankungen oder Lahmheiten immer (tierärztlich) abgeklärt!

Das Auge für die Kühe schulen

Schmerzen von Kühen können nicht objektiv gemessen werden. Daher geht es immer um die eigene Beobachtung, den persönlichen Eindruck und eine subjektive Einschätzung des Schmerzverhaltens. Worauf sollte man also achten? Bei Tieren, die versuchen, ihre Schmerzen zu verbergen, gilt es umso genauer hinzuschauen: Kühe spannen bei Unwohlsein ihre Gesichtsmuskeln an. Über dem Oberlid und an den Nasenlöchern zeigen sich deshalb Hautfalten (Schmerzgesicht). Ausserdem schauen sie ins Leere. Bei starkem Schmerz brüllen sie nicht, sondern knirschen mit den Zähnen. Ein aufgezogener Rücken und ein abgestellter Schwanz zeigen Schmerzen im Bauch- oder Beckenbereich.

Das Verhalten und die Futteraufnahme reduzieren sich schon bei mässigen Schmerzen in frühen Stadien verschiedener Erkrankungen. Deshalb schlagen zum Beispiel Herdenmonitoringsysteme wie SenseHubTM bereits früh Alarm. Solche Systeme sind meist viel sensibler als das menschliche Auge.

Allgemeine Schmerzzeichen

Als Beutetiere versuchen Kühe ihre Schmerzen zu verbergen und zeigen sie nur stumm.

Der Sinn hinter dem Schmerz

Schmerzen dienen dem Körper als Schutzmechanismus, der weitere Schäden verhindern soll. Nach einem akuten Schmerzreiz z.B. durch eine Verletzung erfolgen instinktive Abwehr- oder Fluchtreflexe. Aber auch Entzündungen oder Infekte schmerzen, weil Gewebe geschädigt und Körperzellen zerstört werden. Die betroffene Körperregion schwillt an, wird stärker durchblutet, dadurch gerötet  und wärmer. In dieser Phase sorgt der Schmerz für Ruhe im Körper. Tier oder Mensch schonen die geschädigte Stelle und bewegen sich langsamer. Dadurch kann die Verletzung besser abheilen. 

Lahmheit erkennen

Kranke Beine oder Klauen führen zur Lahmheit und vermehrtem Liegen. Durch aufmerksames Beobachten des Bewegungsablaufs kann man Hinweise darauf erhalten, wie stark die Kuh Schmerzen hat und wo diese vermutlich lokalisiert sind. Es ist wichtig, einen gestörten Bewegungsablauf schon im Anfangsstadium zu erkennen und nicht erst dann zu handeln, wenn die Kuh nur noch auf drei Beinen steht.

Die Länge der Schritte spielt dabei eine Rolle und die gleichmässige Belastung der Beine. Ein klammer Gang ist bereits ein Warnzeichen für eine geringgradige Lahmheit. Ein geübtes Auge erkennt im Gangbild der Kuh nicht nur die Körperhaltung, sondern auch ihre Rückenlinie. Kühe mit Problemen in der Bewegung ziehen den Rücken nach oben und senken den Hals, um das Gleichgewicht besser zu halten. Bei Kühen sitzen die meisten Ursachen für Lahmheiten an und um die Klauen. Sie haben daher Schmerzen, wenn sie ihr Körpergewicht auf der erkrankten Stelle tragen müssen und zeigen eine sogenannte «Stützbeinlahmheit». Bei einer «Hangbeinlahmheit» dagegen bereiten ihnen das Heben und Vorwärtsbewegen des Beins Probleme, was auf Schmerzen in den oberen Regionen, z.B. am Buggelenk oder am Becken, hinweist.

Zeichen für Lahmheiten

Bei Schmerzen an den Klauen oder Beinen vermeiden Kühe Belastung der erkrankten Stelle und bewegen sich weniger.

Praxis-Tipps für Kälber

Auch Kälber müssen genau beobachtet werden, um schnell festzustellen, ob sie Schmerzen haben. Trinkt ein Kalb nicht oder nicht mehr richtig, ist dies in vielen Fällen das erste Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Dann muss genauer hingesehen werden, ob das Kalb weitere Schmerzsymptome hat: Zähneknirschen, ein aufgezogener Bauch, Stampfen mit den Beinen etc. Eine Trinkschwäche in den ersten Lebenstagen ist häufig auf einen schwierigen, schmerzhaften Geburtsverlauf zurückzuführen – oder wenn das Kalb aus der stehenden Kuh gezogen wurde und dann auf den Boden knallte. Erfahrungsberichte zeigen, dass die Gabe von Schmerzmitteln häufig dazu führt, dass Kälber danach besser trinken. Doch Achtung! Es ist nicht jedes Medikament für Neugeborene geeignet, da ihre Leber noch zu unreif für den Abbau ist. Ebenso zeigt sich in der täglichen Praxis, dass eine Schmerzmittelgabe nach dem Enthornen das Trinkverhalten der Kälber verbessert. Tiere, die neben der in der Schweiz obligatorischen Sedation und lokalen Narkose zusätzlich eine Behandlung gegen den Langzeitschmerz beim Abheilen der verödeten Stelle erhalten, schütteln deutlich weniger den Kopf und verhalten sich später weniger kopfscheu.

Schmerzzeichen bei Kälbern

Auch Kälber muss man gut beobachten, um ihre Schmerzen zu erkennen.

Wie stark ist der Schmerz?

Ob jemand den Entscheid «Pro ­Schmerzmittel» trifft, hängt von einem wichtigen Faktor ab: Wie stark schätzt die Person die Schmerzhaftigkeit einer Erkrankung oder eines Eingriffs überhaupt ein? Dabei gibt es erstaunliche Unterschiede. Immer wieder befragen Studien in unterschiedlichen Ländern Landwirte oder Landwirtinnen, aber auch Tierärzte und Tierärztinnen, wie stark sie die Schmerzen beurteilen, die Kühe in verschiedenen Situationen spüren. Die internationalen Ergebnisse zeigen übereinstimmend, dass Frauen häufiger davon ausgehen, dass Eingriffe wie Kastration oder Enthornung sowie bestimmte Erkrankungen Schmerzen verursachen und dass sie die Schmerzstärke höher einschätzen als Männer. Daher greifen sowohl Landwirtinnen als auch Tierärztinnen nach diesen Umfragen schneller zu Schmerzmedikamenten als ihre männlichen Kollegen. Denn einen Schmerz zu vermuten und ihn nicht lindern zu wollen, wäre ja auch höchst unethisch.

Schmerzmittel in der Praxis

Der Schmerzmitteleinsatz unterliegt grundsätzlich der tierärztlichen Verschreibungspflicht. Im Rahmen der Tierarzneimittelvereinbarung (TAM-V) dürfen landwirtschaftliche Betriebe z.B. nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSIAD) jedoch in einer Tierarztpraxis beziehen und danach anwenden, wenn regelmässige Betriebsbesuche erfolgen und der korrekte Umgang mit den Arzneimitteln geregelt ist. Abgabe, Verwendung und Vorrat müssen im Behandlungsjournal und im Inventar dokumentiert sein. NSIAD wirken im ganzen Körper gegen Botenstoffe, die bei Entzündungen entstehen und Schmerzreize auslösen. Sie senken ausserdem Fieber und sorgen für weniger Sensibilität an den Schmerzrezeptoren des Nervensystems. Da solche Schmerzmittel aber auch Nebenwirkungen wie Labmagengeschwüre haben können, sollte man sie jedoch nicht nach dem Motto «viel hilft viel» einsetzen. Eine Anwendung in korrekter Dosierung über eine begrenzte Zeitdauer hilft solche unerwünschten Wirkungen zu vermeiden.