Beratung - Tücken während der Alpzeit
«z’Alp gehen» gehört zur Schweiz wie Schoggi und Chäs. Es ist jedoch gespickt mit Herausforderungen und braucht eine sorgfältige Vorbereitung.
Léonie von Tavel, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Nutztiere beweiden seit je über den Sommer extensive Bergflächen in der Schweiz. Die Alpwirtschaft gehört schon immer zum ganzheitlichen Konzept unserer Landwirtschaft. Doch nur weil die Alpung «schon immer so war,» bedeutet es nicht, dass sie auch immer gleich praktiziert werden kann. Es gilt alten und neuen Herausforderungen auf Augenhöhe zu begegnen. Denn auch die Idylle birgt Tücken, die Mensch und Tiere meistern müssen – und dabei sollte das Mensch- und Tierwohl unbedingt im Vordergrund stehen.
Grundsatz: Gesunde Tiere
Der simple Grundsatz für eine erfolgreiche Alpung lautet: Tiere müssen gesund und frei von ansteckenden Krankheiten sein. Was selbstverständlich erscheint, wird beim genaueren Betrachten eine Angelegenheit, die vielschichtige Aspekte hat…
Sanierte Euter
Alle Milchkühe sollten eutergesund auf die Alp gehen. Konkret bedeutet dies: Ein negativer Schalmtest und weniger als 150’000 Zellen/ml Milch. Eine nötige Eutersanierung muss unbedingt im Heimatbetrieb erfolgen. Denn solche Behandlungen sind auf einer Alp, abhängig von Management, Infrastruktur und Betreuungspersonal, um einiges schwieriger bzw. teilweise kaum durchführbar. Das ist auch zu bedenken, wenn z’Alp trockengestellt werden muss.
Gepflegte Klauen
Eine Kuh auf dem Berg, die nicht oder nur beschwerlich laufen kann, ist verloren! Deshalb ist eine vorausschauende, strukturierte und gut geplante, frühzeitige Klauenpflege vor dem Alpaufzug ein Muss. Dann haben entdeckte Defekte noch genügend Zeit abzuheilen. Für die Klauengesundheit kommt es auch darauf an, ob die Tiere auf die Alp gefahren werden oder ob sie über sehr weite und unwegsame Strecken laufen müssen. Auf der Alp selbst ist es von grossem Vorteil, wenn es einen Klauenstand gibt und geschultes Personal, das die Klauengesundheit beurteilen kann. Erkrankungen und Verletzungen der Klauen gehören auf der Alp wegen des oft steinigen und nassen Bodens zum Alltag und müssen zeitnah behandelt werden.
Geschützte Augen
Schmerzhafte, infektiöse Augenentzündungen (Pink Eye) sind vom Alppersonal besonders gefürchtet. Denn erkrankte Tiere müssen im Dunklen, möglichst separiert, aufgestallt werden, um die restliche Herde nicht zu gefährden, und ihre Behandlung braucht Zeit. Z’Alp gibt es viele Risikofaktoren für eine solche Erkrankung: Minimalste Augenverletzungen beim Transport oder durch Auseinandersetzungen und Rangkämpfen mit fremden Tieren. Ausserdem reizt die hohe UV-Strahlung, und Fliegen, die Überträger der verursachenden Bakterien sind, fliegen sowieso überall. Eine Impfung gegen den Erreger Moraxella bovis ist möglich, muss aber bereits drei bis sechs Wochen vor Alpaufzug durchgeführt werden. Eine weitere gute Prophylaxe ist auch ein langanhaltender Fliegenschutz. Präparate zum Aufgiessen (z.B. Insekt Blocker plus®) schützen ca. vier bis sechs Wochen je nach Witterung. Nach Starkregen muss die Behandlung allerdings wiederholt werden. Für Ohrclips (z.B. InsektEx Ear Tag®), die Fliegenschutz enthalten, wird eine Wirkdauer von mehreren Monaten angegeben. Gleichzeitig helfen solche Präparate auch gegen Zecken.
Achtung Abort!
Auf der Alp werden Tiere aus verschiedenen Betrieben miteinander vermischt. Im Herbst kehren sie wieder in ihre heimatlichen Ställe zurück. Dadurch ist ein seuchenhaftes Geschehen auf einer Alp viel schwerwiegender zu werten als in einem geschlossenen Betrieb ohne Tierverkehr. Jeder Abort auf der Alp muss daher gemeldet bzw. untersucht werden (Art. 129 der Tierseuchen-VO). Vorgeschriebene Untersuchungen werden vom kantonalen Veterinärdienst bezahlt; es gibt also eine kostenlose Abklärung ohne Sperre. Es ist auch sehr wichtig, dass zwischen nicht-infektiösen Ursachen wie z.B. einem Sturz und infektiösen Ursachen wie z.B. BVD, Coxiellose etc. unterschieden wird, um die entsprechenden Massnahmen einzuleiten. Weil das Gros der Aborte auf der Alp gar nicht bemerkt wird (grosse Weideflächen, Wildtiere etc.), ist es umso wichtiger, dass ein tatsächlich beobachteter Abort korrekt untersucht und das abortierende Tier bis zum Resultat abgesondert wird. So hält man den wirtschaftlichen Gesamtschaden so gering wie möglich.
Motivierter Mensch
Entgegen den romantischen Bildern, die uns Medien vermitteln, ist Alparbeit beinhart: Sieben Tage die Woche getaktete körperliche Arbeit und dies extrem wetterabhängig. Alppersonal braucht darüber hinaus Know-how und Sensibilität für die Tiere. Zudem ist die Infrastruktur auf den Schweizer Alphütten sehr unterschiedlich eingerichtet von hochmodern bis sehr simpel, was die Arbeit für Mensch und Tier beträchtlich beeinflusst. Entsprechend wird es immer schwieriger, gut geschultes und insbesondere motiviertes Personal zu finden.
Spezielle Klippen
Einige Schwierigkeiten entstehen durch den nicht zu unterschätzenden Stress der Kühe beim Wechsel vom Tal auf die Alp: Die körperliche Anstrengung des Alpaufzugs, eine neue Umgebung und der unbekannte Stall, allenfalls mit Wechsel von einer Roboter- zu einer Eimermelkanlage, die Futterumstellung, eine neue Herdenzusammensetzung und fremde Menschen, von denen sie versorgt werden. Letztere müssen die Tiere also dementsprechend betreuen, damit sich alle so rasch wie möglich an die neue Situation gewöhnen.
Werden Mutterkühe betreut und/oder läuft ein Stier mit, sind die Schwierigkeiten noch ganz anderer Natur. Der sichere Umgang mit diesen Tieren muss zwingend gelernt sein und die Infrastruktur passen: Eine befestigte Umzäunung auch bei der Überweidung von Wanderwegen und ein entsprechender Klauenstand für gefahrlose Behandlungen kranker oder verunfallter Tiere, die enge menschliche Betreuung nicht gewohnt sind. Wenn Natursprünge übersehen werden, sind unerwartete Geburten die Folge – die aber dennoch professionelle Begleitung brauchen.
Befindet sich die Alp in einem Einzugsgebiet von Grossraubtieren, kann der Stress für Mensch und Tier schnell extrem werden. Gangbare Lösungen liegen nicht einfach auf der Hand und Kompromisse müssen vermutlich eingegangen werden.
Fazit
Die Herausforderungen bei der Alpung dürfen nicht unterschätzt werden. Verschärft werden sie durch unmotiviertes Personal, durch kranke oder verunfallte Tiere, schlechtes Wetter und Raubtiere. Machbar und befriedigend sind sie dank motivierter und gut geschulter Menschen, einer adäquaten Infrastruktur und gesunden Tieren.
Quelle: «Heile Welt auf der Alp – oder vielleicht doch nicht», F. Vinzenz, Praxis Capricorn, Ilanz.
RGS Webinar, September 2023.
Der interessante Vortrag kann auf YouTube nachgehört werden.
Wir danken der Rindergesundheit Schweiz, dass er den Toro-Lesern über diesen Link zur Verfügung steht.