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Beratung - Bei der Biestmilch tickt die Zeit
TORO Beratungsartikel|08.01.2025

Beratung - Bei der Biestmilch tickt die Zeit

Problembetriebe sollten das Timing des Tränkens und die Qualität der Milch prüfen.

Jutta Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Durchfall, Rindergrippe, dicke Näbel – kranke Kälber kosten Geld, Zeit und Nerven. Betriebe mit Problemen im Kälberstall brauchen deshalb dringend Lösungen. «Dass der Schlüssel für eine bessere Kälberaufzucht auch in der Biestmilch nach der Geburt liegt, habe ich verstanden», sagt Betriebsleiter Res im Gespräch, «doch nach meinem Gefühl, kommt es nicht nur darauf an, möglichst viel Biestmilch zu geben. Das tun wir. Trotzdem ist die Situation katastrophal. Es muss noch andere Faktoren geben.» Res ist verzweifelt.

So früh wie möglich, sauber und hygienisch sollte Biestmilch getränkt werden. So verhindert man kranke Kälber.

Gesamteiweiss zeigt die Versorgung

Experten empfehlen einem Problembetrieb auf Fehlersuche, zuerst die Biestmilchversorgung der Kälber objektiv zu überprüfen, indem man den Gesamteiweissgehalt im Blutserum analysiert. Der Wert zeigt an, wie viel Abwehrstoffe (IgGs), die aus Eiweissen bestehen, tatsächlich aus der Biestmilch ins Kalb gelangt sind. Für eine gute Aussage sollte man möglichst viele Kälber in den ersten zehn Lebenstagen beproben. Nur wenn mindestens 75% der Kälber ein Gesamteiweiss von über 55 g/l haben, ist das Biestmilchmanagement des Betriebs zufriedenstellend. Zur routinemässigen Selbstkontrolle wird diese Untersuchung einmal jährlich empfohlen.

Bei Res’ Kälbern waren die Werte niederschmetternd. «An welchen Stellschrauben könnten wir denn drehen?», fragt er. Die Antwort klingt einfach: Entscheidend ist die Qualität der Biestmilch und damit eng verknüpft das Timing im Betrieb.

Äussere Einflüsse vor dem Kalben

Die Zeit vor dem Abkalben entscheidet bereits über die Zusammensetzung der Biestmilch: Je länger eine Kuh vorher in Res’ Bestand ist, umso besser passen die IgGs ihrer Biestmilch zum Keimspektrum seines Stalls. Zukaufstiere oder Tiere, die z’Alp waren, muss er deshalb mindestens drei Wochen vor der Geburt einstallen. Nur dann schützen die IgGs das Kalb gegen die dort vorherrschenden Erreger. Im Sommer verringert Hitzestress den IgG-Gehalt im Erstgemelk. Im Herbst und Winter geben die Kühe nachweislich am wenigsten Biestmilch.  «Das passt ja super zu unserer saisonalen Abkalbung», sagt Res ironisch. Umso wichtiger sind daher alle Massnahmen, die eine maximale Futteraufnahme vor dem Abkalben sicherstellen. So kann man sowohl die Menge als auch den IgG-Gehalt der Biestmilch pushen.

Die wichtigsten Stellschrauben für eine gute Biestmilchversorgung des Kalbs:

Kuh in den ersten beiden Stunden nach der Geburt melken. Milchkanne, Hände und Euter reinigen. Bei genügend Reserver nur Kolostrum bester Qualität vertränken. Ca. 10% des Körpergewichts in den ersten drei Lebensstunden – absolutes Minimum 2 Liter Kolostrum, das aufbewahrt werden soll, muss in die Kühlung – auch wenn es sich nur um wenige Stunden handelt.

Je früher, umso besser

Sofort nach der Geburt ist Biestmilch am stärksten konzentriert, ihr IgG-Gehalt pro Liter am höchsten. Je länger Res mit dem Melken wartet, umso mehr Milch gibt die Kuh zwar, aber umso stärker ist diese auch verdünnt. Dauert es zum Beispiel einen halben Tag, weil das Kalb kurz nach einer Stallzeit geboren wird und Res die Kuh nicht ausserhalb der normalen Zeiten melken kann oder möchte, ist die Biestmilch sogar signifikant dünner – bei Kühen mit hoher Einsatzleistung bereits noch früher. Entscheidend ist also, sie tatsächlich möglichst bald zum ersten Mal zu melken. «Das ist aber immer mit zusätzlichem Arbeitsaufwand ausserhalb der Hauptstallzeiten verbunden», gibt Res zu bedenken. Doch dadurch spart er vielleicht Zeit bei der Pflege kranker Kälber?  

Sich selbst überlassene Kälber

Kälber, die nachts oder während Arbeitsspitzen geboren werden, haben auf jedem Betrieb ein besonderes Risiko für eine schlechte Versorgung. Hat Res viele Kälber aus unbegleiteten Geburten, könnten diese tatsächlich sein gesamtes Betriebsproblem auslösen. Wahrscheinlich würden sie direkt nach der Geburt auch besser trinken als dann nach mehreren Stunden. Insbesondere Tiere, die bei Kälte mit feuchtem Fell auskühlen, trinken später schlecht. Würde Res sie trockenreiben oder im Winter unter eine Wärmelampe legen, könnte er das verbessern.

Aufgenommene Abwehrstoffe

Als Faustregel gilt: Ein Kalb sollte in den ersten vier Lebensstunden mindestens 10% seines Körpergewichts trinken – absolutes Minimum sind zwei Liter. Entscheidend ist jedoch nicht die Milchmenge selbst, sondern die Menge der aufgenommenen IgGs. Hier macht Res einen Denkfehler: Von einer dünneren Milch muss das Kalb mehr trinken, um gut versorgt zu sein. Je länger Res braucht, umso schwieriger wird das. Denn in dieser Zeit schliesst sich ausserdem die Darmschranke des Kalbs. Schon in der sechsten Lebensstunde kann es nur noch 75% der IgGs aufnehmen. «Je früher ich dran bin, umso besser für die Milchqualität und auch für ihre Verwertung», erkennt Res. Als Problembetrieb sollte er das Kalb unbedingt mit dem Eimer oder einer Flasche und nicht direkt an der Kuh tränken. Dann hat er eine bessere Kontrolle über die aufgenommene Milchmenge. Das gilt auch bei Mutterkuhkälbern.

Die Dichte messen

Die Dichte der abgemolkenen Biestmilch bietet einen Anhaltspunkt über ihre Konzentration an IgGs. Bestimmen kann Res sie direkt mit einem Refraktometer (s. Bild) oder auch einem Trichter, mit dem er den Durchfluss misst und auf die Dichte der Biestmilch zurückschliessen kann. Diese wird in der Einheit %Brix angegeben.

Ein Refraktometer bestimmt die Dichte der Biestmilch und dadurch indirekt deren IgG-Gehalt.

Bevorzugt die beste Milch tränken

Je dichter die Biestmilch, umso mehr IgGs enthält sie. Wenn bei Res an einem Tag mehrere Kälber geboren werden, sollte er bevorzugt die hochwertigste Biestmilch für die erste Mahlzeit von allen verwenden (s. Praxis-Tipp) oder dünnere Milch damit aufwerten. So kann er die Kälbergesundheit mit etwas Messaufwand verbessern. «Da haben Betriebe mit saisonaler Abkalbung einen Vorteil», resümiert Res, «wer nur wenige Kälber aufs Mal hat, muss jeweils die Biestmilch nehmen, die die Mutter gibt». Für solche Fälle können Ergänzungsfuttermittel eine Lösung bieten, die getrocknete IgGs enthalten und die man in dünnere Biestmilch einrührt (Kolostrumaufwerter).

Reserven anlegen

Eine Top-Biestmilch ist wertvoll. Man schüttet sie nie weg! Bleibt eine Milch mit einem besonders hohen IgG-Gehalt (>27% Brix) übrig, sollte Res sie in kleinen Portionen einfrieren. Solche Reserven benötigt er zum Beispiel für die Kälber euterkranker Kühe oder wenn Erstmelkkühe die Biestmilch im Euter zurückhalten, weil sie das Melken nicht gewohnt sind.

Keime vermeiden

Der IgG-Gehalt und die Dichte der Biestmilch sind aber keine alleinigen Qualitätsmerkmale. Auch eine niedrige Keimbelastung ist wichtig. Auch Biestmilch sollte maximal 80’000 Keime/ml bzw. 10’000 Coliforme Keime/ml enthalten. Direkt aus einem (sauberen) Euter ist sie meist unbedenklich (ca. 1’000 Keime/ml). In den Milchkannen, mit denen sie gemolken wird, oder in Transporteimern wird sie aber sehr oft kontaminiert, denn auf vielen Betrieben werden diese nicht gründlich gereinigt. Die Keimbelastung geht dann in die Millionen. In ungekühlter Biestmilch verdoppelt sich dieser Keimgehalt alle 20 Minuten und sprengt alle Grenzwerte.

Mit Spülmittel reinigen

Wird hochkontaminierte Biestmilch einem ungeschützten Neugeborenen vertränkt, wird sein Immunsystem massiv geschwächt, bevor es richtig zu arbeiten beginnt.  «Erwischt», sagt Res, «meine Milchkanne und der Nuckeleimer sind bei genauem Hinsehen gruusig …»  Zukünftig wird er alle Eimer, Kessel, Kannen, Flaschen, die mit Biestmilch in Berührung kommen, nach Gebrauch mit Spülmittel sauber reinigen und nicht nur mit Wasser ausschwenken. Ausserdem kauft er eine separate Kanne nur für Biestmilch, um seine Kälber vor besonders fiesen (Mastitis-)Erregern zu schützen.   

Jeder Betrieb sollte sich fragen, ob alle Gerätschaften, die mit Biestmilch in Kontakt kommen, tatsächlich sauber sind. Oder wird sie durch diese kontaminiert?

Verdünnungen ausschliessen

Biestmilch kann auch mit Spülwasser kontaminiert sein. In Fallberichten sammelten sich zum Beispiel grössere Wasserreste in den Leitungen eines automatischen Melksystems. Während das im grossen Milchtank kaum ins Gewicht fiel, wurden die wenigen Liter Biestmilch dadurch stark verdünnt. Bei einer Fehlersuche wie auf Res’ Betrieb sollte daher auch die Dichte der Milch direkt aus dem Euter mit einer Probe aus einem Tränkeeimer verglichen werden, die den gesamten Gewinnungs- und Vorbereitungsprozess durchlief.

Praxis-Tipp

Das 1. und 2. Gemelk jeder Kuh jeweils mit dem Refraktometer messen und der Qualität entsprechend verwenden: Top-Milch mit > 27% Brix bevorzugt vertränken und den Rest als Notreserve einfrieren bzw. zum Aufwerten von schlechterer Milch verwenden. Gute Milch mit > 22% Brix als 1. Mahlzeit vertränken Schlechtere Milch mit < 22% Brix als 2. – 4. Mahlzeit verwenden oder kränkelnden Kälbern in die Tränke mischen. Es wird kein Erstgemelk weggeschüttet – alles wird genutzt! So lange die Milch nicht geliefert werden darf, wird sie vertränkt. Die weiteren Inhaltstoffe wie Wachstumsfaktoren etc. unterstützen die Entwicklung aller Kälber.